Miesbacher Merkur vom 23. 06. 2012
Wo der Wilderer lebendig wird
Schliersee – Der Wildschütz Jennerwein lebt – im Bauernhof-Museum von Markus Wasmeier in Schliersee.
Hier wird ein Mythos geboren: Ein Jahr nach dem Tod des Jennerweins stehen Pföderl, die Pfarrhaushälterin, Wirtstochter Maria und ihr Vater an seinem Grab. Sein Freund gelobt, an Jennerweins Todestag eine Gams auf sein Grab zu legen. Foto: Dieter Schnöpf
Der Wildschütz Jennerwein: Diese bayerische Legende bewegt auch 135 Jahre nach dem ungeklärten Ableben der Hauptperson noch die Gemüter. Besonders, wenn man das Gefühl hat, diesen vielschichtigen Charakter persönlich kennenzulernen. Das hat jetzt das Publikum der Dorf-Festspielwochen im Bauernhof-Museum von Markus Wasmeier erlebt. Hier feierte das Stück „Jennerwein – Bluat vo da Gams“ am Donnerstagabend Premiere.
Die 280 Besucher, zu denen persönliche Freunde von Doppel-Olympiasieger Wasmeier wie Sepp Maier, Striezel Stuck, Georg Hackl, Peter Schlickenrieder, Rosi Mittermaier und Christian Neureuther zählten, saßen im Biergarten und unter dem Vordach des Wirtshauses Beim Wofen – ausgerüstet mit vom Veranstalter ausgeteilten Regencapes. Denn es wollte an diesem Abend nicht aufhören zu regnen. Für so gut wie jedes Freilufttheater hätte diese Wetterlage unweigerlich das Aus bedeutet. Nicht so beim Jennerwein. „Eigentlich ist das ja ziemlich authentisch“, meinte eine Besucherin, „denn die Wilderer sind ja auch bei so einem Wetter losgezogen, bei dem sie sicher sein konnten, dass ihnen sonst niemand begegnet.“
Die Zuschauer konnten die dörfliche Welt des Wilderers geradezu miterleben – saßen sie doch mitten drin in den verschiedenen Schauplätzen der Handlung: Die Terrasse des Beham-Hofs fungierte als Wirtshaus, der dem Wofen gegenüberliegende Hügel als Almen- und Jagdgebiet und der Weg dazwischen als Dorfstraße. Durch die längeren Wege, die die Schauspieler dadurch zurückzulegen hatten, ergab sich eine Art Echtzeitwirkung. Das Geschehen selbst entwickelte sich dramaturgisch kunstvoll und psychologisch spannend hin zum Showdown: den drei Gewehrschüssen samt Mündungsfeuer aus unterschiedlicher Richtung vom Berg.
Mit dem Kunstgriff der Rückschau leuchtete Autor und Regisseur Sebastian Schlagenhaufer Girgl Jennerweins Charakter gekonnt aus, stellte dar, wie und warum sich der wildernde Holzknecht (Alexander Wörndl) zum Mythos entwickeln konnte. Seine Wirkung auf die Wirtstochter Maria war genauso stark wie die, auf die Sennerin Agerl, auf die aber sein Spezl Johann Pföderl ein Auge geworfen hatte.
Die sozialen Umstände waren es schließlich, die aus den Freunden erbitterte Feinde werden ließen: Während sich Pföderl des Geldes wegen entschloss, als Jagdgehilfe zu arbeiten, wilderte Jennerwein nur noch mehr – hochmütig und provokant den Jägern gegenüber.
Zwischendurch wurde immer wieder gesungen, gefensterlt, geflucht – „Bluat vo da Gams“ als verräterisches, da Jennerweins Synonym für „Zefix“ -, die Geistlichkeit kritisch beleuchtet und das Rechtssystem überprüft: „Ein Dieb kann nur sein, der was nimmt, was ihm nicht gehört. Früher hat das Wild allen gehört. Heut’ haben die Bauern Hunger. Das Wild frisst ihre Ernte, und die hohen Herren kümmert das Jagen nicht“, monierte einmal der Wilderer – und hatte dabei alle Sympathien auf seiner Seite.
Das, was die Zuschauer mit „Jennerwein – Bluat vo da Gams“ zu sehen und zu spüren bekamen, war ein lebendiges und authentisches Bild der ländlichen Gesellschaft der sogenannten guten, alten Zeit. Ohne Frage: eindrucksstark.